Museum für Druckkunst, Weimar, 2020
In der Ausstellung "Verräumlichung des Rasters" widmet der Künstler Julian Herstatt sich der Verbreitung menschengemachter Strukturen, die sich sichtlich in ihrem Lebensraum und dazugehörigen Gebieten ausbreiten. Das Raster in seiner Funktion in Architektur und Stadtplanung sowie gesellschaftlicher Strukturen wird in Kontrast von der Natur gestellt. Beeindruckende Ansichten von Satellitenbildern über den Kontinenten, bewegen den Künstler mittels verschiedener Techniken zu einer künstlerischen Auseinandersetzung.
Lochblech 1.0 , Remaille auf Stahlblech, 2020
Raumansicht
Mosaike, Ortsspeziefischer Ton, Weimar, 2020
Textauszug von "Verräumlichung des Rasters"
40km nördlich von Weimar; vor 370.000 Jahren: Der Homo Erectus von Bilzingsleben soll einer der Ersten gewesen sein, der sein zu Hause „in Ordnung“ brachte. Der Befund schließt auf ein paar Steinplatten, die innerhalb der Wohnfläche als fester Bodenbelag dienten, und aus der Umgebung gesammelt wurden1. Bewusst war er sich bereits darüber, dass ein Steinboden von Vorteil sein kann, doch unfreiwillig entsteht hier möglicherweise das erste von Menschen gemachte Raster. Denn egal, wie Steine zusammengelegt werden, es gibt immer ein „Dazwi- schen“. Und das bildet, wenn auch in sehr verschiedenen Formen, das Raster. Das entstehende Handwerk ist folglich bemüht diese Abstände bis zur Perfektion zu verringern. Die Verwendung von Bodenfliesen aus Keramik ist auf die Zeit des römischen Reiches zurückzuführen. Steine zu behauen und dann in ein Mosaik zu legen war für die sie ein klassisches Handwerk. Das kürzlich entdeckte Mosaik, welches in Verona auf einem Weinberg gefunden wurde, ist Zeugnis dieser Zeit.
Neben den Bodenfliesen und kunstvollen Verzierungen im Innen- sowie Außenbereich einer Behausung sind Straßenpflaster ein großer Teil der weltweiten „Verräumlichung des Rasters“. Die damit einhergehende Flächenversiegelung des Mutterbodens wurde zunehmend ein ernst- zunehmendes Problem für die Städte. Doch die Entwicklung zeigt, dass sich auch Asphaltflächen auf die Durchlässigkeit für Wasser einrichten können sowie das Wasser in unterirdischen Netzen transportiert werden kann. Heute sind wir soweit, „dass etwa 50 % der Siedlungs- und Verkehrs- flächen Deutschlands versiegelt sind.“
In der Entwicklung sind Ingenieure daran, Fliesen in ein Stromnetz zu integrieren, sodass sie
Teil der Energiegewinnung werden. Dies funktioniert teils durch Solarenergiefelder sowie durch kinetische Platten2. Dabei wird zum Beispiel auf Plattformen, bei denen die Menschen durch ihr Auftreten Strom generieren, das lokale W-Lan Netz versorgt. Mittels dieser Entwicklung könnten vielleicht Tanzclubs ihren eigenen Strom erzeugen oder die Beleuchtung auf wenig befahrenen Straßen erst dann in Betrieb genommen werden, wenn ein Fahrzeug passiert.
Tonscheibe, Durchmesser 12cm, Privatbesitz
in Auseinandersetzung mit Weltanschauungen und der Sprache über die wir Menschen uns definieren entsteht eine einzigartige Tonscheibe, die mittels Schreibmaschinenteilen bedruckt wurde und einer Art Stadtplan ähnelt. Die entfremdete Nutzung der Schreibmaschine, die gewöhnlich Buchstaben auf Papier prägt, schafft eine Ebene zwischen Formsprache, Industrie und der Verständigung über kartografische Landschaften.
Sandschichten, Ortspeziefisches Pigment, Weimar, 2020
Textauszug aus "Verräumlichung des Rasters", Julian Herstatt, 2020
Kisten, Blöcke und Kugeln bewegen sich durch das Land, und fallen durch ein Kugelloch. Die Industrie, ein vergleichbarer Organismus. Ich sehe auf diesem Weg viele Raster.
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass der Mensch noch als Mensch in einer derartig verfremdeten Umgebung existiert? Sei es das Mosaik, auf dem ich laufe, die un- zähligen Ziegel der Häuser, das Fenster oder die Kräne dort, wo wieder einmal ein neues Rasterhaus gebaut wird.
An Baustellen wird daran gearbeitet. Blicke ich auf einen Bauplan, eine Karte, dann sehe ich, wie alles in einem festgelegten Maßstab gezeichnet ist – Natur und Mensch auf Rasterebene. Um über das Phänomen des Rasters zu sprechen bedarf es zunächst einer Eingrenzung des Begriffs. Dieser findet seine Anwendung in verschiedensten Bereichen. Einige davon habe ich einer näheren Betrachtung unterzogen. Im Sinne einer künst- lerischen Übersetzung wandte ich Techniken an, die ich mir während des Studiums an- geeignet habe:
das Sandstrahlen von Glasscheiben, die Fotoentwicklung, das Ätzen von Platinen, Sieb- druck und Radierung. Dazu kam die Arbeit mit Emaille.
In der Auseinandersetzung mit den Techniken der Bildrasterung entwickelte ich Kompositionen mit Klebeflächen. Diese Zweckentfremdung industrieller Markierungspunkte machte ich mir in einem anderen Medium ebenfalls zu nutze:
Die Lochmaske, ein Stahlsieb, das hinter dem dicken Glas eines Röhrenfernsehers mon- tiert ist, verwendete ich als Siebdruckträger, aber auch als Maluntergrund,
mehrfaches Werkzeug zur Bildrasterung und nicht zuletzt als „Brillenglas“.